"Schon wieder kein Frost, kein Schnee – und ich habe mir im Herbst extra neue Winterreifen gekauft“. Manch Autofahrer stöhnt angesichts der letzten schneearmen Winter, wenn er an die Kosten für die Pneus, das Wechseln und das Einlagern denkt. Kein Wunder, dass sich Ganzjahresreifen immer größerer Beliebtheit erfreuen. Fast alle Reifenhersteller haben inzwischen – meist zähneknirschend – ihr Programm um einen Alleskönner erweitert. Weil richtig gut sind sie fürs Geschäft nicht. Und über die Tauglichkeit gehen die Meinungen weit auseinander.
Gab es Ganzjahresreifen früher nur in kleinen Dimensionen sowie mit eingeschränkten Geschwindigkeitsfreigaben, sind sie heute in fast allen Größen und für fast alle Vmax-Indizes erhältlich. Die aktuelle Winterreifenpflicht schreibt lediglich vor, dass bei entsprechendem Wetter eine M+S Kennung auf den Reifen vorhanden sein muss. Gute Ganzjahresreifen tragen zudem das Schneeflocken-Symbol auf der Flanke. Damit dokumentieren sie bessere Kälteeigenschaften als Pneus, die nur den M+S-Schriftzug aufweisen.
Die Vorteile der Ganzjahresreifen sind offensichtlich: Kein Reifenwechsel ist mehr für die Sommer- beziehungsweise Wintersaison nötig. Der Zeitaufwand für das Umrüsten entfällt. Außerdem muss kein zweiter Satz Reifen zwischengelagert werden. So spart der Autofahrer kräftig. Verschärfend kommt hinzu: Gerade bei Fahrzeugen, die über ein direkt messendes Reifenluftdruck-Kontrollsystem verfügen, sind die Kosten für den Reifenwechsel nicht unerheblich. Hier ist jeder Reifen mit einem Sensor ausgestattet. Dieser muss beim Wechseln kalibriert werden. Das lässt sich die Werkstatt gut honorieren.
Natürlich sind Ganzjahresreifen keine Spezialisten. Im Sport könnte man sie mit Zehnkämpfern vergleichen. Überall gut, aber nirgendwo richtig Spitze. Daher muss jeder selbst entscheiden, was er will. Klar ist: Für Vielfahrer, die auch im Winter mit schnell und zuverlässig unterwegs sein wollen, führt kein Weg an Winterreifen vorbei. Alle anderen müssen ihr Gewissen und ihren Geldbeutel fragen.
Die grundsätzliche Herausforderung bei der Entwicklung eines Ganzjahresreifen besteht darin, den Pneu so auszulegen, dass er die unterschiedlichen Anforderungen bei Fahrten auf trockener Fahrbahn und Nässe bei sommerlichen und winterlichen Bedingungen allesamt zufriedenstellend meistert. Das scheint in der aktuellen Saison vielen Herstellern gelungen zu sein.
Bei aktuellen Tests konnten u.a. der Vredestein „Quatrac 5“ und der Michelin „CrossClimate“ gute Noten verbuchen. Die Reifenhändler haben sich inzwischen auf die Entwicklung eingestellt. Eine Reifen-Fachzeitschrift empfiehlt ihren Pneu-Verkäufern, den Autofahrern nicht unbedingt mit mahnende Worten einen Winterspezialisten aufschwatzen zu wollen: „Wer sich dem Thema Ganzjahresreifen verweigert, dem entgeht nicht nur das Geschäft, sondern er verliert auch Kunden. Das kann sich der Reifenfachhandel nicht leisten.“ (Fotos: Nokian, Continental)
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