Mercedes-Benz 300 SL "Gullwing" holt US-Meistertitel 1956

Vor 60 Jahren rockte der 300 SL die Rennstrecken Amerikas!

Mercedes-Benz 300 SL "Gullwing" holt US-Meistertitel 1956: Vor 60 Jahren rockte der 300 SL die Rennstrecken Amerikas!
Erstellt am 8. November 2016

Wunderschön und sehr erfolgreich: Der Mercedes-Benz 300 SL und sein Renn-Pendant 300 SLS fahren Mitte der 1950er Jahre in den USA von Sieg zu Sieg! "Win on Sunday - sell on Monday!" Die Erfolge auf der Rennstrecke halfen Mitte der 1950er Jahre sehr, die Verkäufe in den USA zu steigern. 

Auf Mercedes-Benz 300 SL „Gullwing“ holt der Rennfahrer Paul O’Shea in der Saison 1956 seinen zweiten Titel als Sportwagenmeister der USA: Zum Saisonfinale am 28. Dezember 1956 ist er Klassenmeister der Kategorie „D Production“ und hat insgesamt die meisten Punkte im National Sports Car Championship des Sports Car Club of America (SCCA) erzielt. Im Folgejahr wird er den Titel erneut verteidigen, diesmal auf dem Mercedes-Benz 300 SLS, der Rennversion des 300 SL Roadsters.


Am 23. Januar 1957 verkündet die „New York Times“, dass Paul O’Shea zum zweiten Mal in Folge der Titel des „National Sports Car Champion“ zugesprochen wird. Das ist zugleich ein Triumph für Mercedes-Benz, denn der 1928 geborene Rennfahrer startet seit 1955 mit Werksunterstützung auf dem Seriensportwagen 300 SL (W 198). Der Meistertitel wird informell von den Medien vergeben, der SCCA zeichnet lediglich die Meister der einzelnen Klassen aus.  O’Shea gewinnt 1956 zum zweiten Mal die Klasse D der Serienfahrzeuge („D Production“).

Um den Sieger unter den Klassenmeistern zu krönen, werten die Zeitungen und Zeitschriften die höchste Gesamtpunktzahl, die ein Fahrer in einer Saison erreicht. Bereits 1955 erringt O’Shea auf diese Weise den im Rahmen einer PR-Kampagne erstmals vergebenen Titel mit 11.750 Punkten und trägt mit dazu bei, dass es die erfolgreichste Motorsport-Saison überhaupt für Mercedes-Benz wird. Ein Jahr später kommt er zum Saisonende auf 10.500 Punkte. Das bestätigt der SCCA am 28. Dezember 1956 bei der offiziellen Bekanntgabe der Saisonergebnisse – sie ist entscheidend für die öffentliche Kür zum US-Sportwagenmeister im Januar 1957. Die deutsche Fachzeitschrift „auto motor und sport“ berichtet jedoch schon nach dem letzten Saisonrennen in der Ausgabe vom 24. November 1956, dass der „amerikanische Sportwagenmeister auf Mercedes-Benz 300 SL des Jahres 1955, Paul O’Shea, [...] seinen Titel auch in diesem Jahr wieder erfolgreich verteidigte“.

O´Shea war ein geschätzter Mercedes-Partner

Mercedes-Benz Rennleiter Alfred Neubauer schreibt nach der Veröffentlichung der SCCA-Ergebnisse umgehend an O’Shea: „Die neue USA-Meisterschaftsnadel für 1956 ist bereits für Sie in Arbeit.“ Beide kennen sich unter anderem von einem Besuch O’Sheas in Stuttgart: Vom 8. Oktober bis zum 1. Dezember 1956 ist der Rennfahrer bei Mercedes-Benz zu Gast. Er erhält in dieser Zeit die Meisterschaftsnadel für 1955 aus der Hand von Professor Fritz Nallinger, dem Technischen Direktor und Vorstandsmitglied der damaligen Daimler-Benz AG. O’Shea lernt bei seinem Besuch auch das Mercedes-Benz Museum sowie verschiedene Werke der damaligen Daimler-Benz AG kennen und reist zur Rennstrecke in Monza. Außerdem fährt der US-Sportwagenmeister auf der Solitude bereits den neuen Mercedes-Benz 300 SL Roadster, der 1957 auf den Markt kommen wird.

"Win on Sunday - sell on Monday" hat Erfolg!

Mercedes-Benz unterstützt O’Shea bei den US-Sportwagenrennen, um den Verkauf der Sportwagen des Unternehmens in dem wichtigen Exportmarkt zu fördern. Darin spiegelt sich die Maxime, dass eine Marke von Rennsiegen umgehend durch Verkäufe von Serienautomobilen profitiert („win on sunday – sell on monday“). Entsprechend genau beobachten die Vertreter des Unternehmens, mit welchen Fahrzeugen die Zuschauer der Rennen anreisen: Beim Cumberland National Sports Car Race am 20. Mai 1956 zählt Auslands-Kundendienstinspektor Victor R. Gross so rund 100 Mercedes-Benz Personenwagen auf dem Parkplatz: „Es waren in der Hauptzahl Sportwagen.“ Noch eindrucksvoller fällt die Parkplatzbilanz des 12-Stunden-Rennen in Sebring am 24. März 1956 aus: „Unter den circa 15.000 Pkw der Zuschauer befanden sich schätzungsweise circa 300 Fahrzeuge unseres Typs 300 SL, ferner viele hunderte des Fahrzeugtyps 190 SL.“

In einer Vorstandssitzung von Daimler-Benz am 28. November 1956 ist der Zusammenhang von Sport-Engagement und Fahrzeugverkauf ebenfalls ein Thema: „Unter dem günstigen Einfluss der Rennen“, heißt es im Protokoll, habe sich „der Verkauf unseres Typs 190 SL des Jahres 1955 in der Höhe von 824 im Jahre 1956 auf 1.691 gesteigert.“ Das ist eine Verdopplung des Absatzes binnen eines Jahres.

Das meisterliche zweite Jahr

Paul O’Shea startet gut in seine zweite Saison als von Mercedes-Benz unterstützter Fahrer: Am 21. Januar 1956 gibt der Sports Car Club of America die Klassensieger der vergangenen Saison im SCCA National Sports Car Championship bekannt. O’Shea hat die Klasse „D Production“ gewonnen und wird wenige Wochen später wegen seiner höchsten Punktzahl von den amerikanischen Motorsport-Fachmedien informell zum Sportwagenmeister der USA ernannt. Nahezu zeitgleich organisiert Rennleiter Alfred Neubauer in Stuttgart die Fahrzeuge der aktuellen Saison: „Aufgrund des guten Abschneidens unserer Sportwagen Typ 300 SL in den vom amerikanischen SCCA veranstalteten Rennen hat der Vorstand beschlossen, dass die beiden in Amerika befindlichen Wagen verkauft werden und wir zwei neue Fahrzeuge des Typs 300 SL nach den USA zur Weiterverwendung durch unser Zentralbüro entsenden“, schreibt Neubauer am 27. Januar 1956.

Ausgewählt werden ein 300 SL in elfenbeinfarbener Lackierung mit rotem Leder und einer in silbergrauen Lack mit blauem Leder. Mercedes-Benz entscheidet sich dabei gegen Fahrzeuge mit einer Leichtmetall-Karosserie: Das Unternehmen will mit dem Werksrennwagen technisch auf Augenhöhe mit den amerikanischen Kundensport-Fahrzeugen bleiben. Pünktlich zu den wichtigen „National Races“ im Rennkalender des SCCA stehen die beiden 300 SL zur Verfügung.

Brillanter Fahrtechniker!

In den Berichten von Victor R. Gross an das Mutterhaus in Stuttgart wird die Saison lebendig. So schreibt er über das Cumberland National Sports Car Race vom 20. Mai 1956, das mit einem von Paul O’Shea angeführten Dreifach-Klassensieg der 300 SL endet: „O’Shea wurde von vielen anderen Fahrern wegen seiner ausgezeichneten Fahrtechnik besonders gelobt.“ In dem Flughafen-Rennen über 45 Minuten setzt sich O’Shea im letzten Viertel an die Spitze, gefolgt von seinen Teamkollegen R.C. „Dick“ Dungan und Charles Wallace. „Dadurch war das ganze Rennen – besonders die ersten 40 Minuten – durch drei Mercedes-Benz 300 SL geführt, vor einer Corvette“, berichtet Gross. Es ist der erste Saisonsieg O’Sheas.

Gleich doppelt punktet O’Shea am 3. Juni bei den Texan National Championship Sports Car Races in Fort Worth: Er holt den Gesamt- und Klassensieg im dritten und im fünften Rennen („The Lion’s Club Feature Race“) vor Charles Wallace. Erstaunlich für europäische Verhältnisse ist bei diesem Wettbewerb die Logistik, wie Gross schreibt: „Unser Fahrzeug wurde auf dem Landwege zusammen mit unserem Station-Wagon mit Ersatzteilen von New York nach Fort Worth überführt. Die Entfernung beträgt ungefähr 2.760 Kilometer. [...] Wie dann später bei der Preisverteilung bekannt wurde, legten die beiden am Rennen teilnehmenden 300 SL den größten Landweg zurück.“

Hoher Aufwand für Rennsiege!

Beim Beverly National Sports Car Race am 7. Juli 1956 folgt Platz 2 in der Gesamtwertung für O’Shea, die 300 SL holen erneut einen Dreifach-Klassensieg in der Kategorie D Production. In seinem Bericht geht der Mercedes-Benz Vertreter unter anderem auf die peniblen Vorbereitungen ein: So gibt es vor dem Rennen umfangreiche Versuche mit dem 300 SL auf einem eigens gemieteten Rennkurs, um „sowohl in Rechtsrichtung als auch in Linksrichtung mit O’Shea [den] geänderten Entlüfter zu erproben“.

Dass sich solcher Aufwand lohnt, zeigt unter anderem das Bergrennen Giant’s Despair Hill Climb in Laurel Run (Pennsylvania) vom 19. bis 20. Juli 1956, das O’Shea mit dem Klassensieg beendet: „Wir konnten hier in der Klasse D Production die beste Zeit erreichen und waren selbst drei Sekunden schneller als die nächsthöhere Klasse, in der die Corvette mit Dr. Thompson die Spitze hielt“, schreibt Gross. Insgesamt nimmt O’Shea 1956 an 14 Rennen teil. Im Oktober führt der Rennfahrer mit 10.500 Punkten die Rangliste für den informellen Titel des „National Sports Car Champion“ klar an. Diese Position kann ihm auch Caroll Shelby trotz dessen Sieg im letzten Saisonrennen im kalifornischen Palm Springs am 4. November nicht mehr abnehmen.

Damit bestätigt Paul O’Shea zum zweiten Mal in Folge die hohe Meinung, die Mercedes-Benz von ihm hat. So heißt es in einem internen Bericht vom 24. Juli 1956: „Paul O’Shea steht ganz auf unserer Seite und beherrscht seinen Wagen vollständig. Noch sehr wichtig ist, dass er mit Kopf fährt und alle Zeichen beachtet, die wir ihm während der Rennen geben. Es sei auch gesagt, dass er unseren 300 SL wenn notwendig bis zum Letzten ausfährt.“

Auftritt des 300 SLS

In der Saison 1957 soll Paul O’Shea wieder amerikanische Sportwagenrennen für Mercedes-Benz gewinnen. In diesem Zusammenhang wird O’Shea auch eine Anstellung als beratender Ingenieur bei der US-Tochter des Konzerns in Aussicht gestellt. Allerdings will das Stuttgarter Unternehmen nicht das „Gullwing“-Coupé, sondern den neuen 300 SL Roadster für die Saison 1957 einsetzen. Dieser, so berichtet Alfred Neubauer am 27. November 1956, wird nicht mehr in der Klasse D Production starten, sondern in der unbeschränkten Klasse D Modified. Grund dafür ist einerseits, dass Mercedes-Benz so bereits an Rennen teilnehmen kann, bevor 150 Fahrzeuge des Typs gebaut worden sind. Außerdem haben sich die Hubraumbeschränkungen verändert, so dass der 300 SL im Jahr 1957 in der Klasse C Production für Fahrzeuge mit 2.700 bis 3.500 Kubikzentimeter Hubraum starten müsste. In der Kategorie D Modified ist der Hubraum hingegen weiter auf 2.000 bis 3.000 Kubikzentimeter beschränkt.

So entsteht der Mercedes-Benz 300 SLS, ein „speziell mit hoher Leistung und geringem Gewicht hergerichteter“ (Nallinger) 300 SL Roadster (W 198 II). Die in zwei Exemplaren gebaute Sonderausführung wiegt nur noch 970 Kilogramm (Serie: 1.330 Kilogramm) und hat eine Motorleistung von 173 kW/235 PS (Serie: 158 kW/215 PS). Äußerlich ist der 300 SLS an den fehlenden Stoßstangen, einer speziell geformten Cockpitabdeckung mit Lufteinlassschlitz, der schmalen Renn-Windschutzscheibe und dem Überrollbügel hinter dem Fahrersitz zu erkennen. Die Rechnung der Stuttgarter Strategen geht perfekt auf: Paul O'Shea gewinnt im Jahr 1957 zum dritten Mal in Folge den Titel des US-amerikanischen Sportwagenmeisters.

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