Friedrich Geiger war in vielerlei Hinsicht ein bemerkenswerter Mensch. Er war bis 1975 der erste Leiter der Abteilung Stilistik, wie der Designbereich damals noch genannt wird. Und er war nicht nur in dieser Funktion ein vorzüglicher Handwerker und Techniker, sondern zudem ein begabter Künstler. Doch es passte zu ihm, dass zu seiner aktiven Zeit so gut wie niemand wusste, wie zauberhaft er Aquarelle malen konnte. Denn Geiger, eine überaus bescheidene und zurückhaltende Persönlichkeit, überließ den großen Auftritt stets anderen.
Friedrich Geiger, am 24. November 1907 in Süßen am Rande der Schwäbischen Alb geboren, erlernt zunächst das Wagner-Handwerk und studiert anschließend Wagenbau. Vor dem Hintergrund, dass damals die meisten Karosserien aus einem mit Blech beplankten Holz-Hilfsrahmen bestehen, ist dieser Weg logisch und konsequent. Am 10. April 1933 tritt Geiger dann in die von Hermann Ahrens geleitete Abteilung Sonderwagenbau der Daimler-Benz AG im Werk Sindelfingen ein. Auch hier wird diese Karosseriebauweise praktiziert, auch für die individuellen Kreationen, welche die Kunden sich auf ein Fahrgestell setzen lassen.
Ganzstahlkarosserien führt Daimler-Benz erst 1938 mit dem Mercedes-Benz 230 (Baureihe W 153) ein. Und seine doppelte Begabung als Techniker und als Mensch mit einem Sinn für Ästhetik und Proportionen kann Geiger gerade im Sonderwagenbau überzeugend unter Beweis stellen. So geht die Karosserie der Spezial-Roadster der berühmten Typen 500 K/540 K (W 29) auf Geiger zurück. Aber auch besonders gepanzerte Limousinen der Typen Großer Mercedes (W 07 und W 150) und 540 K entstehen auf seinem Zeichenbrett.
Geigers großer, wenn nicht überhaupt sein bedeutendster Erfolg ist der Mercedes-Benz 300 SL (W 198)
Geigers große Zeit beginnt nach dem Zweiten Weltkrieg in den 1950er-Jahren, als er im Karosserieversuch Karl Wilferts in Sindelfingen die Abteilung Stilistik aufbaut und leitet. Werner Breitschwerdt, der spätere Chefingenieur und Vorstandsvorsitzende, schätzt Geiger rückblickend sehr wegen seiner kreativen und schöpferischen Kraft und seines Blicks über den Tellerrand hinaus, während Karl Wilfert, der immer Künstler sein will, eher der visionäre Techniker und Motor der passiven Sicherheit ist. Geiger ist ein Mensch mit eiserner Disziplin und Strenge Eigenschaften, die dazu führen, dass er unterschiedlich wahrgenommen wird. Zur Disziplin gehört sein tägliches einstündiges Schwimmen morgens im Mineralbad in Bad Cannstatt, bevor er ins Büro geht. Arbeitsbeginn im Werk Sindelfingen ist um sieben Uhr.
Ein großer, wenn nicht überhaupt sein bedeutendster Erfolg ist der Mercedes-Benz 300 SL (W 198), der berühmte Flügeltürer, vorgestellt 1954 in New York. Mit einem Zeitversatz von nur einem Jahr entwirft Geiger dann auch schon erste Karosserien für den nachfolgenden 300 SL Roadster, der 1957 auf dem Genfer Auto-Salon vorgestellt wird. Mit seinem Entwurf des Oberklassefahrzeugs der Baureihe W 111 setzt er sich gegenüber von Entwürfen der Kollegen Hermann Ahrens und Walter Häcker durch. Ein Entwurf von zeitloser Eleganz gelingt ihm mit der Coupévariante der Typen 220 SE und 300 SE (W 111/W 112), die 1961 zunächst als 220 SE präsentiert wird. In seiner formalen Endgültigkeit erreicht dieses Coupé große Bedeutung im Schaffen Geigers. Der Mercedes-Benz 600 (W 100) mit seiner kantigen, zurückhaltenden Formensprache ist ebenfalls sein Werk. Die starke Verwendung von Chrom entspricht dabei eher dem Geschmack der Entwicklungsvorstände Fritz Nallinger und später Hans Scherenberg. Aber auch die ruhige und klare Linienführung der Oberklasse-Fahrzeuge der Baureihe W 108/109 sowie der oberen Mittelklasse der Baureihe W 114/115 verraten seinen prägenden Einfluss. Ganz besonders stolz ist Geiger auf das Coupé der Baureihe W 114, das er selbst jahrelang fährt.
Die Karosserie des Mercedes-Benz 230 SL (W 113) entsteht ebenfalls unter seiner Leitung
Die Karosserie des Mercedes-Benz 230 SL (W 113) als Nachfolger des Typ 190 SL (W 121 I) entsteht ebenfalls unter seiner Leitung, wobei das Pagoden-Dach durch das Konstrukteursduo Béla Barényi/Karl Wilfert gefördert und von Paul Bracq formal umgesetzt wird. Weitere heutige Klassiker, sowohl die SL- und SLC-Typen der Baureihe R/C 107 als auch die S-Klasse der Baureihe W 116 und der E-Klasse Vorgänger W 123 sind ausgeprägte Geiger-Kreationen. Zum SL der Baureihe R 107 gehört auch die konsequente Fortsetzung der konkaven Dachform auf dem hinteren Kofferdeckel auch dies eine Geiger-Kreation, die, wie sich Breitschwerdt erinnert, damals für einige Schwierigkeiten sorgt. Denn es ist nicht einfach, in der Karosseriefertigung den Kofferraumdeckel mit konkaver Wölbung zu pressen.
Als Friedrich Geiger am 31. Dezember 1973 in den Ruhestand geht, kann er für sich in Anspruch nehmen, die Formensprache der Mercedes-Benz Personenwagen während vier Jahrzehnten und ganz besonders die der bis dahin gebauten SL-Modelle entscheidend gestaltet und geprägt zu haben. Geiger stirbt am 13. Juni 1996 in Bad Überkingen.
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