Grundig hatte mindestens einen, Graetz und Kienzle auch. Neckermann und Miele besaßen mehrere, und selbst NSU-Zweiräder durchquerten Wirtschaftswunderland hinter „rollenden Schaufenstern“. Beinahe jeder mehr oder minder bedeutende Produzent von Konsumgütern setzte im Nachkriegsdeutschland auf chrombeladene Werbesattelzüge, hinter deren großzügig verglasten Fahrzeugseiten die appetitlich angerichteten Symbole anwachsenden Wohlstands den Konsumhunger der Bundesbürger zu stillen suchten.
Die attraktive Außengestaltung der mobilen Boutiquen setzte sich in dessen Innenräumen fort. Üppig mit Nussbaumfurnier und Resopal drapiert, boten die rollenden Verkaufsräume genau das richtige Ambiente, um die potentielle Kundschaft etwa von der Notwendigkeit des magischen Auges in einem Graetz „Fidelio“ zu überzeugen. In Zeiten, als Fachhandel und Verbrauchermärkte noch nicht in jedem Winkel der Republik vorgedrungen waren, ließen sich mit den Werbewagen völlig neue Käuferschichten erschließen.
Die weitaus meisten dieser Spezialfahrzeuge entstanden bei Käsbohrer in Ulm, dem führenden Hersteller von Nutzfahrzeugaufbauten in Deutschland. Da die für Fahrgestelle verschiedener Hersteller konzipierten Käsbohrer-Karosserien mit einer großen Anzahl von Gleichteilen in Serie gebaut wurden, blieb deren Kreativität zwangsläufig ein wenig auf der Strecke. Durchaus ansehnlich zwar, konnten sie sich mit dem ungezwungenen Linien entsprechender Einzelstücke aus kleineren Karosseriewerken nur in Ausnahmefällen messen.
Eines der sicherlich reizvollsten und zeittypischsten Werbefahrzeuge entstand 1956 bei Buhne in der Berliner Kaiserin-Augusta-Allee. Es muss zu Beginn des Jahres gewesen sein, als in der Auslieferungshalle eine Sektflasche am markanten Bug eines Sattelzugs zerschellte, den der Kölner Pharmaproduzent Klosterfrau bei der renommierten Karosserieschmiede in Auftrag gegeben hatte. Dass sich unter den ausladenden Karosserieformen der Zugmaschine ein Mercedes verbarg, darauf deutete immerhin der Stern am Kühlergrill hin. Dass es aber ein Haubenfahrzeug des viele zehntausend Male produzierten Typs L 312 war, dessen Fahrgestell Buhne höchst phantasievoll eingekleidet hatte, konnte man bestenfalls erahnen.
Mercedes-Benz LKW als mobiles Schaufenster
Ursprünglich war der Viereinhalbtonner mit 3,60 Meter Radstand als Reparaturfahrzeug für die damals rund 9.000 Außentransparente und Leuchtreklamen von Klosterfrau bestellt worden. Zu diesem Zweck sollte er einen Kofferaufbau mit integriertem Fahrerhaus erhalten. Warum diese Pläne nie in die Tat umgesetzt wurden und der L 312 stattdessen zum aufregend gestalteten Zugfahrzeig eines mobilen Schaufensters wurde, wird wohl nie geklärt werden Überliefert ist dagegen, dass ihm die Buhne-Spengler ein Coupéartiges Kleid mit hinten angeschlagenen Türen maßschneiderten, das stark an zeitgenössische Pkw desselben Karosseries erinnerte.
Der Ausstellungsraum mit seiner flugzeugähnlichen Kanzel am vorderen Ende entstand als filigrane und mit Aluminiumblechen beplankte Rohrrahmenkonstruktion. Aufgebaut wurde er auf einen einachsigen Sattelauflieger, dessen Achse aus Gründen besserer Manövrierbarkeit lenkbar ausgeführt war.
In den ersten Jahren seiner Indienststellung tourte der Klosterfrau-Zug quer durch die gesamte Bundesrepublik. An den Längsseiten des Auflegers waren zwei breite Schaufensterkästen eingelassen, in denen die verschiedenen Klosterfrau-Produkte und deren Geschichte werbewirksam präsentiert wurden. Mittels einer überdachten Klapptreppe am Heck des Fahrzeuges gelangten interessierte Menschen in den mit Regalen und Verkaufstheken ausgestatteten Innenraum. In einem dreimonatigen Turnus kehrte der Werbezug zur Umdekoration der Schaufenster nach Köln zurück. Als sich die große Zahl der rollenden Schaufenster hierzulande ihrem Ende entgegen neigte, beschlossen die Verantwortlichen bei Klosterfrau, ihr auffälliges Schaustück fortan in Spanien werben zu lassen.
„Melisana“ - Melissengeist für's Ausland
Als der Werbezug 1963 zum ersten Mal gen Süden aufbrach, warb er für „Melisana“, wie der begehrte Melissengeist außerhalb des deutschen Sprachraum genannt wurde. Das ursprüngliche Kölner Kennzeichen sowie der Schriftzug „Colonie (Alemania)“ auf den Türen des Zugfahrzeuges ließen bei den Spaniern indes keine Zweifel an der Herkunft des ungewöhnlichen Mobils aufkommen.
Zwischen 1963 und 1965 propagierte der Buhne-Zug im Auftrag der drei Klosterfrauen die wohltuende Wirkung des Melissengeistes zwischen den Pyrenäen und der Straße von Gibraltar. Stets begleitet von mindestens einem der zahlreichen Seat 600 der spanischen Klosdterfrau-Niederlassung. In beinahe jeder größeren Stadt machte der Konvoi Halt und brachte interessierten Spaniern die Geschichte und den Produktionsprozess des Melissengeist-Präparates näher. Auch nach Einbrauch der Dunkelheit vermochte der Werbezug noch Publikum anzulocken: Illuminiert wie ein Luxusdampfer und mit hinterleuchteten Glastransparenten ausgestattet, wurde er zum nächtlichen Mittelpunkt zahlreicher Kleinstädte auf der iberischen Halbinsel. Im Herbst jeden Jahres kehrte der Lastzug zur technischen Überholung und Umdekorierung an den Rhein zurück.
Der Mercedes-Sattelzug ist verschwunden
Obwohl er sich auch nach knapp zehn Einsatzjahren noch in passablem Zustand präsentierte, beendete Klosterfrau das Spanien-Engagement seines Werbeträgers im Herbst 1965 endgültig. Danach geriet der einzigartige Mercedes-Sattelzug zusehends in Vergessenheit.Niemand dekorierte seine Schaufenster mehr nur. Irgendwann in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre verlor sich die Spur von K-DA 221 im Dickicht des rapide anwachsenden Fuhrparks der Firma Klosterfrau endgültig. Wie bei der überwiegenden Mehrzahl seiner werbenden Kollegen dürfte auch die Karosserie des aufregenden Buhne-Zuges ein unrühmliches Ende in einer dunklen Ecke irgendeines schlammigen Schrottplatzes gefunden haben.
Fotos: Klosterfrau Gesundheitsservice, Archiv Dieter Ritter/MVC
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