Es geht bei Autos längst nicht mehr allein um Beschleunigung, Platzangebot oder den Preis. Zugegeben, das ein oder andere Detail mag die Kunden noch interessieren, doch real treten mittlerweile weniger die Fahrzeuge, sondern Plattformen mit Elektrohirnen gegeneinander an. Spannender denn je: der Wettkampf BMW iX3 gegen Mercedes CLA.
Mercedes zieht das Tuch Mitte März als erstes von seinem neuen CLA. Der CLA als Aushängeschild der neuen MMA-Plattform (Mercedes Modular Architecture) soll endlich auch den Mercedes-Kunden Lust machen auf die Elektroautos mit Stern. Dabei ist der CLA das erste von insgesamt vier geplanten neuen Modellen auf der neuen Plattform, die unter anderem noch CLA Shooting Brake, GLA und GLB beheimaten soll. Mit Auslaufen der aktuellen Frontantriebsgeneration werden diese vier Modelle der Einstieg in die neue Mercedes-Welt sein; generell elektrisch und auf besonderen Wunsch sogar noch mit einem 1,5 Liter großen Benzinmotor zu bekommen. Von Mercedes entwickelt, von Kooperationspartner Geely in verschiedenen Leistungsstufen gebaut, soll er hybridisiert jene Kunden abholen, die sich in den nächsten Jahren noch nicht für ein reines Elektromodell der Schwaben erwärmen können.
BMW stellt dem seine neue Mittelklasse entgegen, die gebetsmühlenartig seit Jahren als „neue Klasse“ in die Köpfe der potenziellen Kunden gebracht werden sollen. Das erste Modell wird Ende des Jahres der neue BMW iX3 sein, der letztlich den Vorrang gegenüber dem kommenden BMW i3 bekam, der als Limousine Mitte 2026 folgen soll. Auch hier gilt: eine komplett neue Plattform und das eigentlich erste Mal im Hause der Bayern ein sogenanntes „software defined vehicle“, ein Fahrzeug, bei dem die vernetzte Fahrzeugarchitektur mit Hightech-Hirnen an Bord die Musik macht. Das grundsätzliche Design wurde mit zwei Designstudien bereits gezeigt. An sich sind die Modelle direkte Gegner für die kommende Mercedes C-Klasse und den kommenden GLC, doch da die Fahrzeugklassen im Rahmen von Elektroplattformen, Antriebskonzepten und Dimensionen untereinander verschwimmen, sind beide nah beieinander die ersten ihrer Art für den jeweiligen Hersteller. Design, Antrieb, Fahrleistungen sowie Komfortgefühl spielen bei beiden Wettbewerbern eine zentrale Rolle und doch spielt die eigentliche Musik mittlerweile längst woanders. Die Plattformen mit ihren Antrieben nebst vernetzten Steuergeräten legen zunächst kaum spürbar für den Kunden fest, wohin die Reise in den kommenden Jahren gehen soll. Updates aller Art – natürlich drahtlos „over the air“.
Dem rund 4,75 Meter langen Mercedes CLA sollen auf gleicher technischer Basis der flexiblen MMA-Plattform die Schwestermodelle folgen. Design sowie Proportionen sind weitgehend mit dem der IAA-Studie von 2023 identisch. Elektroantrieb an der Hinterachse, stärkere Versionen mit Allrad-E-Power, ein Normverbrauch von maximal zwölf Kilowattstunden auf 100 Kilometern und eine Reichweite von bis zu 750 Kilometern bis zum nächsten Ladestopp. Der Erfolg eines Elektromodells wird neben der Fahrzeugklasse und dem Preis insbesondere beim Nachladen entschieden. Endlich gibt es die überfällige 800-Volt-Technik, die das Akkupaket im Flachboden des neuen CLA deutlich imposanter als bisher erstarken lässt. Zielgröße sind 400 Kilometer in 15 Minuten, um auch ausgemachten Benzinerfans Lust auf dem Umstieg in die Steckerwelt zu machen. Da es mit der Elektromobilität nicht so schnell geht, wie einst gedacht, wird das eigentliche Elektromodell ab Anfang 2026 auch mit einem Benziner angeboten. Da der Vorderwagen ausgetauscht und mit einem Verbrenner bestückt wird, wird der eigentliche Heck- dann zum Fronttriebler. Wahlweise natürlich mit 4x4-Antrieb genauso wie die Elektroversion.
Doch anders als einst, geht es längst um mehr als Kilowatt, Pferdestärken und Fahrwerk. Wie bei der CLA-Studie ist auch das Mitte 2025 auf den Markt rollende Serienmodell mit einem Bildschirmpaket ausgestattet, der sich von der linken bis zu rechten A-Säule quer über das Armaturenbrett zieht. Nur bei den Basisversionen blicken die Beifahrer auf eine Dekorfläche; alle anderen bekommen ein durchgehendes Display, auf dem ein zusammen mit Google entwickeltes Navigationssystem gestochen scharfe Bilder mit genaueste Fahrzeugdaten liefert. Das neue Betriebssystem MB.OS, zahllose Apps und Chat-GPT als allwissenden Gesprächspartner lassen plötzlich sogar die großen Brüder E- und S-Klasse alt aussehen; zumindest bis diese die moderne Technik ebenfalls bekommen.
Wie in den 1960ern geht es auch bei der ab 2025 auf den Markt rollenden neuen Klasse von BMW der Zukunft um mehr als ein einzelnes Auto, sondern um eine Umstellung des gesamten Portfolios. Produktion, Entwicklung, Wertschöpfung oder Plattform – all das bedeutet die neue Klasse. „Die neue Klasse ist ausschließlich für Elektrofahrzeuge konstruiert“, macht BMW-Entwicklungsvorstand Frank Weber klar, dass Verbrennermodelle mit dem neuen Fahrzeugansatz trotz anhaltender Gleichteilstrategie nur wenig zu tun haben werden. Den Auftakt zur neuen Klasse bildet in der zweiten Jahreshälfte der neue BMW iX3, der mit seinem Design und Technik nennenswerte Ähnlichkeit mit den Studie BMW Vision Neue Klasse / Neue Klasse X hat, die in den vergangenen zwei Jahren zu sehen waren. Nach dem elektrischen Mittelklasse-Crossover des iX3 folgen bis Ende 2027 insgesamt fünf weitere neue BMW-Modelle, die Herz und Rückgrat der Marke bilden sollen. 2026 rollt der BMW i3 an, der später auch als Touring-Version Kunden finden soll. Besonders beliebt dürften jedoch ähnlich wie aktuell die SUV-Modelle sein. Produziert wird der BMW iX3 im neuen ungarischen Werk in Debrecen.
Bei den Antrieben wird es in BMW iX3 und i3 die nächste Generation der aktuellen Elektromotoren geben. Die Fahrzeuge sind mit Hinterrad- und Allradantrieb zu bekommen, leisten zwischen 200 und 500 PS, was der Freude am Fahren im Vergleich zu den Elektromodellen keinen Abbruch tun soll. Im Gegenteil, denn der kommende Dreier BMW wird Fahrleistungen wie kein anderes Mittelklassemodelle aus München vor ihm bieten. Bis 2027 dürfte auch ein BMW i3M mit über 600 PS auf den Markt kommen – obligatorisch mit Allradantrieb einer Höchstgeschwindigkeit jenseits der 250 km/h – erstmals für einen elektrischen BMW. Die Batterietechnik wird mit der neuen Klasse auf ein zeitgemäßes 800-Volt-Bordnetz umgestellt, was die Ladegeschwindigkeit von aktuell maximal 205 kW auf über 270 kW deutlich steigen lässt. Das ermöglichen auch die erstmals verbauten runden Lithium-Ionen-Akkuzellen, die dafür sorgen, dass in zehn Minuten für weitere 300 Kilometer nachgetankt werden kann. Eine Verbesserung des cW-Wertes um rund ein Fünftel soll weitere Vorteile bei Fahrleistungen und Reichweite bringen.
Mercedes dürfte mit seinem CLA bei knapp 55.000 Euro starten – viel Auto für viel Geld, denn der zugegeben etwas in die Jahre gekommene Kernwettbewerber Tesla Model 3 startet bei kaum mehr als 40.000 Euro. Ein Preisunterschied von mehr als zwei Klassen und zudem hat es der kommende CLA im eigenen Hause noch mit der neuen C-Klasse zu tun, der in ähnlichen Dimensionen Komfort auf dem Niveau der heutigen E-Klasse bieten soll – ob das als Unterscheidung unter dem gleichen Stern segelnd reicht?
Denn bereits der Mercedes CLA dürfte viele Kunden aus dem zentralen Volumensegment zufrieden stellen – mehr als das. Genügend Platz, viel intelligent verbautes Recyclingmaterial und große Displays – das alles bietet nicht nur der neue CLA, sondern auch der BMW iX3, der seine Kunden mit einem neuen Bedienkonzept locken will. Das bekannte iDrive-Modul verschwindet ebenso wie die gewohnten Instrumente. Technischer Höhepunkt ist jedoch das sogenannte Panoramic Vision, ein Display, das über die gesamte Breite der unteren Windschutzscheibe geht und hier alle Insassen mit den verschiedensten Inhalten bespielt. Ergänzt wird es um einen knapp 15 Zoll großen Zentralbildschirm und ein stattliches Lenkrad mit reichlich Bedienmodulen.
Doch das digitale Infoband im unteren Bereich der Windschutzscheibe ist nur der sichtbare Teil der Neuerungen. Hinter dem Bedien- und Anzeigekonzept der Münchner liegt ein neues Betriebssystem, das unter der Bezeichnung „Operating System X“ auf einem Android Open Source Softwarestack arbeitet. Durch diese neue Technik ist es nicht nur deutlich einfacher, dass Anwendungen von Drittanbietern, zum Beispiel für Streaming und Spiele ins Auto integriert werden. Noch wichtiger, das Betriebssystem unabhängig von Fahrzeug und Plattform aktuell zu halten. Daran hakt es aktuell bei vielen traditionellen Autoherstellern aus der Verbrennerwelt, denn die Entwicklungszyklen der Software passen nicht zu denen für neue Fahrzeuge oder Modellpflegen, die zumeist zwischen drei bis acht Jahren liegen.
Leser interessieren sich auch für diese Themen
Morgen-Stern: Mercedes-Maybach visionär Lasterhafte Idee: Mercedes-Maybach Pick-Up
Keine Kommentare
Schreibe einen Kommentar